Von astrakompatibler Musik zur freien Improvisation

Heimlich - ungewollt zwar, aber manchmal sind die Zeiten eben so -, still und
leise hat der Hamburger Musiker Heiner Metzger der hiesigen Improvisations-
szene nach dem Abschied aus seinem alten Atelierstudio am Rödingsmarkt
einen neuen Kristallisationspunkt geschaffen. Damit hat er gleich eine zweite
Fliege erlegt: im neuen h7-Club in den Astra-Stuben unter dem Bahnverkehr
auf der Sternbrücke predigt jedenletzten Dienstagabend im Monat die frei
improvisierte Musik nicht nur dem Fähnlein der ohnehin Gläubigen, sondern
stellt sich der Begegnung mit einem Publikum, dessen Hörgewohnheiten in
astrakompatibleren Musikstilen wurzeln: im experimentellen Postpunk,
in wilder Elektronik, im reinrassigen Underground.
Eine Begegnung, die auch in kalten Winternächten Reibungswärme erzeugt.

Ein Hamburg / Berliner Quartett stand auf dem Programm, das Metzger
selbst im zweiten Set zum Quintett erweiterte. Zunächst die
Improvisation aus dem Geist des Ameublement: hier raschelt es leise,
dort quietscht eine Saite, klappert die Klappe des Saxofons, schwingt
sich zart ein definierter Ton in Richtung Hörschwelle. Die Welt ist
Klang, und Musik ist die Kunst, die vielfältigen Klänge der Welt in
einen Zusammenhang zu stellen.

Aufmerksam nehmen John Hughes und die Berlinerin Astrid Weins, die
beiden Kontrabassisten, die Klänge im Raum auf, fügen sich mit
vorsichtigen Bogenstrichen und Flageoletts in den dynamischen Rahmen,
reagieren aufeinander, auf die Akzentschlieren des Schlagzeugers
Thomas Rehnert (Berlin), auf die tonlos kreiselnden Bewegungen von
Lars Scherzberg. Mit dem plakativen Expressionismus des Freejazz hat
diese Musik nichts zu tun, sie erzeugt ihre Spannung aus dem
Zusammenspiel von zarter Bewegung, klanglicher Differenzierung und
Stille.

Mit Metzger bekam die Musik eine konkretere Nuance: die beiden
Saxofonisten warfen melodische Splitter in den Raum, die Bässe
drückten auf die Dynamik - es ist schon ein eigenartiges Erlebnis,
wenn sich in dieser noch immer reduzierten Musik die Spannung des
Abends entlädt. Leiser wurden die Posaunen von Jericho noch selten
gespielt. Und alle hatten es warm.

sth

Artikel erschienen am 29. Jan 2004



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